Familie
Hat ein Kind Anspruch auf einen Platz in der Regelschule?
Jedes Kind hat, unabhängig von seinem individuellen Bildungsbedarf, Anspruch auf eine angemessene Grundbildung. Ein Kind mit einer Behinderung sollte wann immer möglich Unterricht in der Regelschule erhalten. Einen absoluten Anspruch darauf gibt es aber nicht.
Das Grundrecht auf Bildung gilt auch für Kinder mit besonderen Bedürfnissen: Die Bundesverfassung verpflichtet die Kantone, «für eine ausreichende Sonderschulung aller behinderter Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr» zu sorgen. Das Behindertengleichstellungsgesetz gibt den Kantonen den Auftrag, «die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule» zu fördern. Dies allerdings nur, «soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient». Die Kantone haben bei der Umsetzung einen grossen Spielraum. Leitlinien gibt die Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik vor. Diese halten fest, dass integrative Lösungen separierenden Lösungen vorzuziehen sind.
Grundrecht auf Bildung gilt für alle Kinder
Nicht jedes Kind kann ohne Unterstützung die Grundschule besuchen. Weicht ein Kind in seiner Entwicklung von der Norm ab, soll die Schulbehörde seinen besonderen Bildungsbedarf wo immer möglich im Rahmen der Regelschule berücksichtigen. Kann das Kind dem Unterricht ohne spezifische Unterstützung nicht folgen, hat es Anspruch auf angemessene sonderpädagogische Massnahmen. Ziel ist, dass die Schule auch Kinder mit einem besonderen Bildungsbedarf «angemessen auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag» vorbereitet, wie das Bundesgericht schreibt. Anders als bei dem Nachteilsausgleich können sonderpädagogische Massnahmen dazu führen, dass die Schule für das betreffende Kind die Lernziele anpasst.
Behinderte Kinder sollen möglichst die Regelschule besuchen
Jedes Kind hat einen verfassungsmässigen Anspruch auf eine angemessene Grundbildung. Wie sie diesem Anspruch genügen, ist weitgehend den Kantonen überlassen. So dürfen sie namentlich einem Kind den Besuch einer Sonderschule verweigern beziehungsweise deren Finanzierung ablehnen, wenn eine angemessene Bildung auch in der Regelschule möglich ist: «Ein darüber hinausgehendes Mass an individueller Betreuung, das theoretisch immer möglich wäre, kann mit Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen nicht gefordert werden», so das Bundesgericht. Ein Gemeinwesen kann sich für eine nicht ganz ideale Lösung entscheiden, wenn diese «der Vermeidung einer erheblichen Störung des Unterrichts, der Berücksichtigung der finanziellen Interessen des Gemeinwesens oder dem Bedürfnis der Schule an der Vereinfachung der organisatorischen Abläufe dient und die entsprechenden Massnahmen verhältnismässig bleiben», wie das Bundesgericht in einem weiteren Entscheid schreibt.
Anspruch auf Besuch der Regelschule nicht absolut
Es liegt grundsätzlich auch im Ermessen der Kantone, ein Kind aufgrund dessen erhöhten Betreuungsbedarfs nicht in eine Regelschule aufzunehmen. Der Ermessensspielraum ist hier allerdings kleiner, da das Behindertengleichstellungsgesetz die Teilnahme behinderten Menschen an der Gesellschaft fördern will und deswegen der Integration in die Regelschule den klaren Vorrang einräumt: «Diesem Ziel trägt eine durch angemessene Fördermassnahmen begleitete Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in die Regelschule Rechnung, zumal hierdurch der Kontakt zu nichtbehinderten Gleichaltrigen erleichtert wird, was einer gesellschaftlichen Eingliederung zuträglich ist», wie das Bundesgericht ausführt.
Entscheidend ist das Wohl des Kindes und das betrieblich Machbare. Bei einem schwerbehinderten Kind kann diese Abwägung laut Bundesgericht dazu führen, dass ein Platz in einer Sonderschule angemessen ist. Auch eine Trisomie 21 kann gemäss neuester bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Versetzung in die Sonderschule rechtfertigen. Das Bundesgericht anerkennt zwar den grundsätzlichen Anspruch eines behinderten auf den Besuch der Regelschule, stellt aber im konkreten Fall fest, «dass in der Schulsituation eine klare Überforderungssituation aufgrund des sprachlichen und kognitiven Entwicklungsrückstands bestehe». Es sei deswegen nachvollziehbar, dass die Schulgemeinde eine Sonderschulung als besser mit dem Kindeswohl vereinbar erachte.
Aktualisiert 11. Januar 2024