Behörden
Habe ich trotz Hauseigentum Anspruch auf Sozialhilfe?
Immobilieneigentum schliesst eine Person nicht automatisch von der Sozialhilfe aus, wie das Bundesgericht mit Urteil vom 6. Februar 2020 entschieden hat.
Die Bundesverfassung garantiert das Recht auf Hilfe in Notlagen: «Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind». Verfügt eine Person über zu wenige Mittel für ein menschenwürdiges Dasein, muss die zuständige Behörde sie unterstützen. Wie sie das tut, regelt grundsätzlich der zuständige Kanton. Kann eine Immobilieneigentümerin nicht über ihr Vermögen verfügen, darf das kantonale Recht ihr das Immobilieneigentum jedoch nicht als Vermögen anrechnen.
Immobilieneigentümerin beantragt Sozialhilfe
Die Miterbin eines Mehrfamilienhauses beantragt Sozialhilfe, da sie über die im Eigentum der Erbengemeinschaft stehende Immobilie nicht verfügen könne. Die Behörde lehnt den Antrag gleichwohl unter Verweis auf das Immobilieneigentum ab. Das Genfer Verwaltungsgericht stützt den Entscheid, worauf die Miterbin mit einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gelangt. Dieses heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
Vermögensfreibetrag muss sich auf verfügbares Vermögen beziehen
Der Kanton Genf schliesst Personen mit einem Vermögen von über 4 000 CHF von der Sozialhilfe aus. Damit hat eine Immobilieneigentümerin grundsätzlich keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Eine, allerdings hier nicht anwendbare, Ausnahme besteht da, wo die Person die Immobilie selber bewohnt.
Weiter legt das anwendbare kantonale Gesetz fest, dass Sozialhilfe nur gewährt werde, wenn keine andere Einkommensquelle zur Verfügung stehe. Das Mehrfamilienhaus ist im Eigentum der Erbengemeinschaft. Die Miterbin kann das Haus ohne das Einverständnis der anderen Erben weder verkaufen noch kann sie in die leer stehende Wohnung ziehen und so Miete sparen. Bereits vor dem Antrag auf Sozialhilfe hatte die Miterbin alles unternommen, um schnellstmöglich über ihr Vermögen verfügen zu können. Namentlich reichte sie eine Teilungsklage ein. Diese ist nur notwendig, wenn sich die Mitglieder der Erbengemeinschaft nicht über den Verkauf oder die Vermietung einigen können. Damit ist erwiesen, dass die Beschwerdeführerin nicht über ihr Vermögen verfügen kann und so nicht genügend Ressourcen hat, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Entsprechend verletzt der Kanton das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf Nothilfe, wenn er der Miterbin keine Sozialhilfe gewährt.
Erbin muss Sozialhilfe zurückzahlen
Die zuständige Behörde muss der Beschwerdeführerin Sozialhilfe im Sinne einer Übergangsleistung bis zur erfolgten Teilung der Erbschaft auszahlen. Sobald sie über ihr Vermögen verfügen kann, wird die Miterbin die Sozialhilfe zurückerstatten müssen. (Siehe auch: «7 Antworten zum neuen Ergänzungsleistungsgesetz»)
Das Bundesgericht verpflichtet die zuständige kantonale Stelle zur Übernahme der Gerichtskosten im Umfang von 500 CHF sowie zur Bezahlung einer Parteientschädigung in der Höhe von 2 800 CHF.
Aktualisiert am 29. Dezember 2022