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Muss der Arbeitsvertrag den GAV-Mindestlohn garantieren?

Eine im Ermessen der Arbeitgeberin liegende Prämie ist kein Lohnbestandteil. Der vertragliche Lohn darf nicht unter dem GAV-Mindestlohn liegen.

Zum Lohn gehört nur, was vertraglich garantiert und nicht abhängig vom Ermessen der Arbeitgeberin ist. Verfügt die Arbeitgeberin über einen Handlungsspielraum bei der Auszahlung einer Prämie, ist letztere nicht Lohnbestandteil. Untersteht die Arbeitgeberin einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV), muss sie den dort verankerten Mindestlohn einhalten. Diesen Mindestlohn muss sie vertraglich garantieren. Liegt der vertraglich garantierte Lohn unter dem Mindestlohn, verstösst sie gegen den GAV. Dies unabhängig davon, ob sie tatsächlich einen über dem Mindestlohn liegenden Betrag ausbezahlt hat. Dies hat das Bundesgericht mit Urteil vom 31. Januar 2025 entschieden.

LKW-Fahrer klagt wegen Verstoss gegen Mindestlohn

Ein LKW-Fahrer bezieht zu Beginn des Arbeitsverhältnisses einen Bruttolohn von CHF 3 600 sowie einen 13. Monatslohn. In den letzten drei Dienstjahren erhält der Arbeitnehmer zudem eine monatliche Dienstalterszulage in der Höhe von brutto 38 CHF. Weiter kriegt er eine monatliche Sicherheitsprämie von grundsätzlich 380 CHF, sofern er bestimmte Voraussetzungen einhält. Die Arbeitgeberin kürzt diese Sicherheitsprämie aufgrund von krankheitsbedingten Abwesenheiten des Arbeitnehmers sowie wegen der Nichtbeachtung einer roten Ampel mehrmals beziehungsweise streicht sie.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt der Arbeitnehmer eine Lohn-Nachzahlung, da der anwendbare GAV einen Mindestlohn von 4 300 CHF brutto vorsieht. Das erstinstanzliche Gericht heisst die Klage des Arbeitnehmers im Wesentlichen gut. Das Berufungsgericht bestätigt das erstinstanzliche Urteil. Die Arbeitgeberin legt beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen ein.

Von Arbeitgeberin abhängige Sicherheitsprämie ist kein Lohnbestandteil

Strittig ist, ob die Sicherheitsprämie Lohnbestandteil ist oder eine Gratifikation darstellt. Das Bundesgericht erinnert daran, dass die Arbeitgeberin bei der Gratifikation, anders als beim Lohn, einen gewissen Handlungsspielraum hat. (Siehe auch: «Habe ich Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation?») Wie die Arbeitgeberin den Betrag im Arbeitsvertrag bezeichnet, spielt keine Rolle. So ist es im vorliegenden Fall irrelevant, dass die Arbeitgeberin im Arbeitsvertrag die Sicherheitsprämie als Teil des Gehalts bezeichnet. Ebenso ist ein ausgezahlter Betrag nicht alleine deswegen Lohnbestandteil, weil die Arbeitgeberin ihn gleichzeitig mit dem Gehalt auszahlt.

Weil die Arbeitgeberin die Sicherheitsprämie jeweils nach eigenem Ermessen gewährt hat, bestätigt das Bundesgericht die Einschätzung der Vorinstanz und stellt fest, dass die Sicherheitsprämie kein Lohnbestandteil ist.

Arbeitsvertrag muss GAV-Mindestlohn garantieren

Ist die Arbeitgeberin an einen GAV gebunden, darf sie davon nicht zum Nachteil ihrer Arbeitnehmer abweichen. Das Bundesgericht hält fest, dass im konkreten Fall der vertraglich vereinbarte Lohn unter dem vom GAV vorgeschriebenen Mindestlohn liegt. Zweck des Mindestlohnes ist jedoch die Garantie eines festen monatlichen Mindestlohnes. Dass die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer tatsächlich einen über dem Mindestlohn liegenden Betrag ausgezahlt hat, ist deswegen nicht relevant.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Arbeitgeberin ab und auferlegt ihr die Gerichtskosten im Umfang von 500 CHF sowie eine Parteientschädigung in der Höhe von 1 000 CHF.